Dauerhafte Selbstbeschädigung

Der Angriff der Russischen Föderation auf das Brudervolk der Ukraine hatte die Welt ernüchtert und ins Taumeln[1] versetzt. Eine achtzigjährige Friedenzeit war in Europa zu Ende gegangen. Eine jahrzehntelang für tragfähige gehaltene internationale Rechtsordnung wurde erschüttert. Recht ist der Gewalt gewichen.

Die Vereinten Nationen und ihr Sicherheitsrat, in dem der Aggressor ein Vetorecht besitzt, konnten nicht verhindern, dass ein Mitglied ein anderes völkerrechtswidrig angreift und mit einem Vernichtungskrieg überzieht, in dem es zu unvorstellbaren Kriegsverbrechen an Frauen, Kindern und Alten kommt: Die Bilder sind derart grausam, dass öffentlich-rechtliche Fernsehstationen sie nicht zeigen; aber sie kursieren in den Sozialen Medien.

Raketenangriff auf den Bahnhof in Kramatorsk am 8.4.2022 mit 50 Toten und 300 Verletzten

Die Liste der ukrainischen Städte, in denen mutmaßliche Kriegsverbrechen international untersucht werden, ist lang. Um nur einige zu nennen: Mariupol, Butcha, Borodjanka, Trojanets, Irpin, Worsel, Kramatorsk, Busowa. Der Versuch der russischen Führung, die Bilder als von Schauspielern gestellte oder von ukrainischen Kräften begangene Taten umzudeuten, wirkt für die Supermacht peinlich, hilflos, aber auch schamlos. Die Gewalt macht vor der Zivilbevölkerung nicht Halt, verschont nicht Schulen, Krankenhäuser oder Supermärkte. Gewalt gegen Unschuldige, Gier nach fremden Gebieten und dreiste Lüge gehen miteinander einher. Das Dämonische hat sich in der Welt breit gemacht.

Verrat am Evangelium

Tragisch ist, dass auch die Führung der Russisch-Orthodoxen Kirche den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Namen Gottes rechtfertigt, besonders grausame Einheiten mit Ikonen segnet und im Krieg eine Art Kreuzzug gegen den dekadenten Westen deutet, der sich nicht scheut, Homosexualität im Namen der Würde jedes Menschen anzuerkennen.

Zudem will der Patriarch offenbar die autokephale Orthodoxe Kirche in der Ukraine vernichten, indem er sich an der Vernichtung der Ukraine als eigenem Staat und damit als mögliches kanonisches Territorium beteiligt. Der Protest vieler Orthodoxer Bischöfe und Gemeinden im Westen haben dem Patriarchen deshalb die Nennung im Hochgebet verweigert, was einer Aufkündigung der Kircheneinheit gleichkommt.

Es wiederholt sich der kapitale Fehler, den die christlichen Konfessionen nach der Reformation im blutigen Dreißigjährigen Krieg gemacht haben: sie haben ihre Hände mit dem Blut unzählbar vieler Unschuldiger in Europa befleckt. Das hat Gott nicht in Kredit, sondern in Misskredit gebracht.

Evangeliumwidriges Handeln einer Kirchenleitung erweist der Evangelisierung einer weithin durchatheisierten, nur nominell „orthodoxen“ Kultur einen Bärendienst. Das Evangelium des Friedens lässt sich nicht zur Legitimation eines brutalen und rechtswidrigen Krieges missbrauchen. Sobald die Wahrheit über diesen Krieg ans Licht kommt – und das hat sich in der Geschichte auf die Dauer nie verhindern lassen – , wird auch das ganze Ausmaß der massiven Selbstbeschädigung der Russisch Orthodoxen Kirche sichtbar werden.

Es wird wie nach dem Dreißigjährigen Krieg in Europa insbesondere bei den jungen Menschen zu einem Vertrauensverlust für die Russisch-Orthodoxe Kirche führen, von dem sie sich lange Zeit nicht erholen wird. Das ist wegen der vielen gläubigen Menschen und engagierten Priester dieser Kirche, die in aller Welt leben und glauben, zu beweinen.


[1]     So Richard A. McCormick SJ just am Tag des Angriffs Russland auf die Ukraine am 24.2.2022 bei einer Tagung an der Griechisch-katholischen Universität in Lviv. Ich war Ohrenzeuge dieser Rede.

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