Der Kampf gegen den „Politischen Islam“.

Kritik an einem untauglichen Begriff.
Von Paul M. Zulehner

Die Österreichische Regierung hat eine Beobachtungsstelle für „Politischen Islam“ eingerichtet. Theologen (Ulrich Körtner und Jan-Heiner-Tück) wünschen sich in einem gemeinsamen Beitrag in der Neuen Züricher Zeitung eine fundierte Debatte über ihn. Beide, Theologen wie Politikerinnen (Die Presse vom 11.11.2020) gebrauchen den Begriff, ohne die Folgen dessen Verwendung zu reflektieren.

Ihr Anliegen ist gesellschaftspolitisch gut, wer will das bestreiten. Es geht um die Trennung von Gewalt und Religion. Sie zu verbinden ist eine allen Religionen und vor allem deren Männerriegen innewohnende Versuchung. Die grausame Ausformung des Islamischen Staates, die den Grausamkeiten des Dreißigjährigen Krieges vergleichbar ist, verlangt ein klares und entschlossenes Nein von Theologie und Politik. Wer religionskritisch fit ist, wird einsehen, dass Gewalt, die sich mit Gott rechtfertigt, Gott nicht in Kredit, sondern Misskredit und – was ebenso schwer wiegt – Leid über die Völker bringt.

Ein doppelt schädlicher Begriff

Der aktuelle Kampf gegen den Missbrauch des islamischen Weltreligion für Gewalt wird als Kampf gegen den „Politischen Islam“ geführt. Dieser aber, so meine ich hier mit meiner für die fachliche Debatte vorgelegten Position, dient nicht nur nicht dem politischen und theologischen Anliegen, sondern schadet diesem vielmehr allein durch den unreflektiert verwendeten Begriff. Der Schaden ist dabei doppelt: Denn der Begriff „politischer Islam“ schädigt nicht nur in subtiler Weise den Ruf des Islam, sondern beschädigt zugleich den ohnedies im Bewusstsein vieler Menschen ramponierten Begriff der Politik.

Schaden für den Begriff Politik

Politik ist Einsatz für die Polis und deren Gemeinwohl. Der Begriff „Politischer Islam“ unterstellt, dass ein Islam nur dann akzeptabel sei, wenn er nicht politisch ist. Das Wort „politisch“ wird auf diese Weise zum Vorwurf an den Islam (aber auch an die übrigen Religionen), sich in die Angelegenheiten der Polis kreativ und gemeinwohlnützlich einzumischen.

Die Menschen im Land haben dazu eine weit differenziertere Ansicht als die Protagonisten in Politik und Theologie. In der Religionsstudie des Jahres 2020 war gefragt worden:

TABELLE: „Für welche der folgenden Bereiche sollen sich die christlichen Kirchen/ soll sich die islamische Glaubensgemeinschaft Ihrer Meinung nach verstärkt einsetzen?”
(durch Doppelklick lässt sich die Tabelle vergrößern!)

Die islamische Bevölkerung erweist sich nach dieser Repräsentativstudie als die im Interesse der großen Fragen der Menschen – wie Frieden in der Welt, Armut, Zukunft der Menschheit, Erhaltung der Umwelt, Benachteiligung der Frauen… – am stärksten engagierte Weltreligion, und dies im Konfessionsranking gleich nach den Orthodoxen im Land. Das macht den Islam im besten Sinn dieses Wortes zu einem „politischen Islam“, Allah sei Dank. Der Dialog von Papst Franziskus mit dem Mufti der Al Azar Universität in Kairo weist in die gleiche Richtung. Auch für den Islam gilt, was Papst Franziskus über das Verhältnis der Religion zur Politik in seiner brandneuen Enzyklika betonte:

„Religiöse Amtsträger sollten zwar keine Parteipolitik betreiben, aber sie dürfen deswegen nicht einfach die politische Dimension des Lebens ausgrenzen, welche den Blick für das Gemeinwohl und die Sorge für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen beinhaltet.“ (Fratelli tutti 276)

Oder wie unser Jahrhundertkardinal Franz König vor dem Gewerkschaftskongress am 23.2.1975 betonte: „Ich bin kein politisierender, aber ein politischer Bischof.“

Schaden für das Islambild

Der Begriff „politischer Islam“ schädigt in seiner politisierenden Verwendung auch den Islam und seine Reputation. Und das allein dadurch, dass vor allen möglichen Differenzierungen und Erläuterungen von einem „Kampf“ gegen den „politischen Islam“ die Rede ist. Gutes wird die Politik nicht bekämpfen. Die Unterstellung lautet also, dass es letztlich doch der Islam ist, der nicht nur für Gewalt missbraucht wird, sondern in seinen Grundlagen gewaltproduktiv ist.

Fremd- und Selbstbild

Nun sind die Menschen im Land in der Einschätzung des Islam höchst unterschiedlicher Ansicht. In der Religionsstudie waren vier Aussagen vorgelegt worden. Das sind auch gleich die Ergebnisse zu den Items, die so eingeleitet worden waren: „Im Folgenden geht es um mehrere Meinungen um den Islam als Religion. Geben Sie bitte an, welchen davon Sie zustimmen und welchen nicht.“

TABELLE: Ein differenziertes Islambild
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Die beiden ersten Aussagen korrelieren hoch. Der Islam wird als friedliebend, aber missbraucht wahrgenommen. Wie das Christentum und das Judentum gilt für eine Mehrheit der Menschen im Land der Islam also als eine grundfriedliche Religion, die von ihren „Fundamentalisten“ missbraucht wird. Ein Teil dieser wertschätzend-besorgten Mehrheit beobachtet, dass manche Vorstellungen im Islam aus unserer Sicht altmodisch sind. Es gibt aber auch einen kleineren Teil in der Bevölkerung, die den Islam mit Gewalt verbindet, darunter wieder ein Teil im Modus des Missbrauchs, andere aber „grundsätzlich“.

Macht und Interessen verschatten das Erkennen

Zwei Beobachtungen zeigen, dass dieses Ergebnis eng mit der Perspektive zusammenhängt, vor der aus jemand seine Bewertung abgibt. Die Ansichten der islamischen und der nichtislamischen Bevölkerungsanteile klaffen krass auseinander. Das hat fatale Folgen für das Miteinander. Muslime leben bei uns mit dem ständigen Gefühl, etwas zu sein, was sie von sich aus gar nicht sein wollen: nämlich gewalttätig statt friedliebend. Fremdbild und Selbstbild widerstreiten einander. Dazu wäre ein Dialog, der Brücken baut, sinnvoller als einen Kampfansage. Noch einmal Franziskus zur Qualität eines solchen dringlich benötigten respektvollen Dialogs:

„Aufeinander zugehen, sich äußern, einander zuhören, sich anschauen, sich kennenlernen, versuchen, einander zu verstehen, nach Berührungspunkten suchen… Der echte Dialog innerhalb der Gesellschaft setzt die Fähigkeit voraus, den Standpunkt des anderen zu respektieren und zu akzeptieren, dass er möglicherweise gerechtfertigte Überzeugungen oder Interessen enthält.“ (Fratelli tutti 198, 211)

Aber nicht nur die (Nicht-)Zugehörigkeit zur islamischen Bevölkerung prägt das Fremd- und Selbstbild. Ebenso wirkmächtig erweist sich die politische Präferenz der Befragten.

TABELLE: Islambild und politische Präferenz
(durch Doppelklick lässt sich die Tabelle vergrößern!)

Jürgen Habermas behält Recht, dass Macht, Interesse (und ich füge bei: Ängste) das Erkennen verschatten. Das Islambild ist – was noch naheliegt – anders bei den Nichtmuslimen und den Muslimen. Aber es ist noch weit mehr verschieden je nach parteipolitischer Präferenz. Ein- und derselbe Islam gilt 27% der FPÖ-nahen Befragten als friedlich, bei den Grünen hingegen sind es 79%. Eine frappante Nähe zeigt sich zwischen ÖVP- (61%) und FPÖ-nahen (68%) Befragten in der Einschätzung des Islam als gewalttätiger Religion. Bei den Grünen sehen dies lediglich 20% so. Welche Interessen führen angesichts ein- und derselben Realität zu derart verschiedenen Bewertungen? Die Fakten können es nicht sein. Je nach politischer Brille fällt das Urteil radikal anders aus. Statt einer „Beobachtungsstelle für den Politischen Islam“ wäre ein „Selbstbeobachtungsstelle für die Islam-Politik“ hilfreich und würde dem politischen Frieden dienen.

Ein Faktencheck würde der Islampolitik guttun

Solche Untersuchungsergebnisse könnten nachdenklich machen. Dabei steht eines fest: Auch der Begriff „Politischer Islam“ erzählt mehr von dem, was jemand sehen möchte als was tatsächlich ist. Ein Faktencheck würde den politisch Verantwortlichen guttun und die Menschen islamischen Glaubens vor einer letztlich islamistischen Diskreditierung und Kränkung bewahren. Es bringt wirklich nichts, den Angehörigen der zweitgrößten Religionsgemeinschaft im Land unentwegt zu sagen: Mag ja sein, dass ihr euch selbst für friedfertig anseht. Aber wir sehen das anders. Es wäre gut, aus der Verschattung ins Licht zu treten. Das könnte die islamische Gemeinschaft ermutigen, gegen den Missbrauch Allahs durch gewaltbreite Kriegerinnen und Krieger in den eigenen Reihen entschlossen anzugehen. Zugleich könnte die Integrationen einer großen Zahl von Österreicherinnen und Österreichern islamischen Glaubens vorankommen.

Quelle: Zulehner, Paul M.: Wandlung. Religionen und Kirchen inmitten kultureller Transformation. Ergebnisse der Langzeitstudie Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020, Grünewald, Ostfildern 2020. – Ders.: Damit der Himmel jetzt schon auf die Erde kommt. In Spuren wenigstens, Ostfildern 2021.

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10 Antworten zu Der Kampf gegen den „Politischen Islam“.

  1. Brand, Hildegard schreibt:

    Das ist ja eine sehr interessante Analyse, die auf der Grundlage der Sprachkritik und von hoch aufschlussreichen Umfrageergebnissen zur jeweiligen Selbstkritik Anlass gibt.
    Eine Sprachkritik, die zugleich auch eine Ideologie- und Handlungs-Kritik ist:

    Wenn wir davon ausgehen, dass Sprechen immer auch Handeln ist, eine Handlung aber erst durch eine bestimmte Absicht und inhaltliche Zielgerichtetheit zur Handlung wird, dann kann der zielgerichtete Gebrauch der Worte „Kampf gegen den politischen Islam“ und das Verschweigen von mit – gemeinten Konnotationen ( „Politischer Islam“ = Gewalt) , wie Paul M. Zulehner es aufzeigt, zur ideologisch aufgeladenen Kommunikations – und Handlungssituation führen.
    Und wenn die Glaubenden als eigentliche Adressatengruppe zudem nicht in die Handlungsabfolgen einbezogen werden, dann kann ein derartig einseitiges kommunikatives Handeln von Überheblichkeit zeugen und – ideologisch aufgeladen – zum Herrschaftsinstrument werden.
    Konkret gehören dazu auch die Sprechhandlungen der Pauschalierungen, Unterstellungen und Auslassungen.

    Pauschalierungen:
    ( sie bieten das Fundament für Vorurteile mit Handlungsfolgen )

    “ d e n “ Islam ( auch nicht „den“ politischen Islam ) gibt es s o nicht,
    genau so wenig wie es „das“ Christentum gibt. Die sogen. „Hochreligionen“ sind über viele Jahrhunderte, sogar über mehr als zwei Tausend Jahre historisch gewachsen, haben sich gegenseitig befruchtet, sind aufeinander aufgebaut ( G.E. Lessing in der „Ringparabel“ : Ruhen nicht alle auf Geschichte?!
    Es ist mit Sicherheit eine Bereicherung, diese Ringparabel noch einmal nachzulesen. Sie hat eine bleibende Gültigkeit ! ).

    Unterstellungen:
    wie von P M. Zulehner analysiert : politischer Islam = Gewalt.
    Überheblich und unfair wirkt auch die Kommunikations – Haltung, wenn die mit-gemeinte Konnotation nicht offen ausgesprochen wird. Die möglichen Kommunikationsteilnehmenden können sich nicht darauf einstellen.

    Auslassungen / Unterlassungen:
    Die ursprünglichen, schönen Bedeutungen der Worte „Islam“ und „Allah“ werden nicht in die Sprechhandlung einbezogen: „Allah“ , ebenso wie der biblische Name „Jahwe“ , stehen als Umschreibungen für eine große Vielfalt dessen, was Menschen mit „Gott“, dem Göttlichen positiv assoziieren.
    Dabei könnten sie doch die beste Grundlage für eine friedliche Einigung auf Gemeinsamkeiten sein und damit auf ein friedliches Zusammenleben und eine herrschaftsfreie Kommunikation zwischen Menschen aus unterschiedlichen Religionsgemeinschaften.

    Zu einer herrschaftsfreien Kommunikation gehört m.E. eben auch eine jeweils selbstkritsche, historisch-kritische Durchforstung, Aufarbeitung der Geschichte der je eigenen Religionsgemeinschaft unter den Aspekten:
    – Sprache der Gewalt in den historisch gewachsenen Textgrundlagen;
    – Gewalthandlungen in den jeweiligen historischen Kontexten, d.h. den religiös begründeten Kriegen unter den jeweiligen „Gottesnamen“ ;
    und am wichtigsten, das Positive:
    – Worin liegt das große Potenzial für Gewaltlosigkeit, Frieden, Gerechtigkeit in der je eigenen Religionsgeschichte und den jeweiligen Texten?

    Das wären m.E. gute Grundlagen für ein Religionen-Weltkonzil, auf dem sich die Vertreterinnen und Vertreter aller Religionsgemeinschaften austauschen könnten – mit dem Ziel der Schaffung des Welt – Friedens in der Weltgemeinschaft. Ich erinnere an Hans Küngs: Projekt WELTETHOS.

    • berger56 schreibt:

      Selten so einen Schwachsinn gelesen. Und vom Islam haben sie keine Ahnung.
      Er ist eine Gesetzesreligion mit Weltherrschaftsanspruch.
      Und das ist natürlich nicht spirituell sondern politisch.

  2. Richard Langthaler schreibt:

    Eine ausgezeichnete Studie von Professor Zulehner, die mit Fakten zeigt, dass das Problem weniger bei den Muslimen liegt, sondern vorwiegend bei den verhärteten Vorurteilen von Blau und Türkis.

  3. Pingback: Islamismus: Hells Angels des Islam – Eine Artikelsammlung – Serdargunes' Blog

  4. Peter Wurm schreibt:

    Danke, lieber Paul Zulehner, für Ihren Beitrag zu diesem „untauglichen Begriff“:

    https://peterwurm.wordpress.com/2020/11/14/lebenslang-weggesperrt/

    Liebe Grüße

    Peter Wurm

  5. Pingback: Rechtfertigt Euch! Überlegungen zu Stil, Habitus und Form im Ruf nach der Auseinandersetzung mit dem „Politischen Islam“ (Regina Polak) – theocare.network

  6. Pingback: Auf Kollisionskurs zur Seenotrettung • peregrinatio

  7. Brand, Hildegard schreibt:

    Zum Beitrag von Regina Polak: Pinkback, s.o. angezeigt

    In ihrem Beitrag in ´theocare.network´ : „Rechtfertigt Euch!…“ setzt sich Regina Polak beeinduckend umfassend, argumentativ mit einer Vielzahl von Positionen in der Debatte um den sogenannten „Politischen Islam“ und der Problematik des inter-religiösen Dialogs / Diskurses auseinander.

    Bereichernd ist es m.E., dass sie das bereits real existierende, konstruktive Dialog-Verhalten von Menschen aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, z.B. im pädagogischen Alltag und die Konzepte dafür würdigt. Gleichzeitig benennt sie aber auch eine Vielzahl von Ursachen für den sogen. „Extremismus“ , wie z.B. sozio-ökonomische, kolonial-geschichtliche Aspekte und andere.
    Sie bezieht auch wichtige Worte von Papst Franziskus und seinem muslimischen Dialogpartner ein, Diese Worte gleichen m.E. einem Manifest für zukünftiges Dialog-Verhalten auf der Basis gemeinsamer, grundlegender Werte der Religionen.

    Ich kann das Lesen dieses Beitrags wärmstens empfehlen!

  8. Brand, Hildegard schreibt:

    Lieber Herr Berger,
    der von Ihnen gebrauchte Begriff „Schwachsinn“ wird – Gott sei Dank – nicht einmal mehr in der Pychiatrie verwendet.

    Umgangssprachlich gebraucht, fällt er in den Bereich der Herabwürdigung einer Person, ihres Denkens und Sprechens und kann m.E. kaum die Grundlage für einen aufrichtigen Dialog sein, in dem einem möglichen Gegegnüber mit Respekt und sachdienlichen, diffenenzierten Argumenten begegnet wird.

    So kann ich auf Pauschalurteile nur mit der Angabe eines sehr umfangreichen Buches zum Islam antworten : Hans Küng: Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft Verl.: Piper, 1.Auflage 2006, 783 Seiten.
    Dazu noch der Hinweis auf sein Projekt „Weltethos“ .

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