Scharfe Kritik an der Pfarrei-Instruktion durch einen erfahrenen Praktiker

von Jürgen Quante, Propst in Recklinghausen St. Peter
Freitag, 26.07.2020

„Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck hat die Instruktionen des Vatikans zur Organisation der Pfarreien scharf kritisiert. Er sagte: „Es befremdet mich sehr, dass ein solches Dokument ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Situation in den Ortskirchen veröffentlicht wird.“

Es geht in dem 34 Seiten langen Schreiben um die Aufgabe der Pfarrei in veränderten Zeiten, um ihre Strukturen und – am Ende – um die Leitung der Pfarrei. Und – demzufolge – auch um die Laien in der Kirche. Die Laien, das sind im Sprachgebrauch der Theologen, alle Nichtgeweihten; und das sind dann also auch Pastoralreferenten und Pastoralreferentinnen, die die gleiche Ausbildung hinter sich haben wie die geweihten Männer in der Kirche, und die im alltäglichen Sprachgebrauch ja gerade keine Laien in ihrem hoch qualifizierten Beruf sind, sondern diplomierte und sogar vom Bischof beauftragte Seelsorgerinnen und Seelsorger, Fachleute in Sachen Pastoral. Professionelle, gerade nicht laienhafte Kollegen! Die päpstliche Instruktion untersagt Laien Leitungsfunktionen in Gemeinden.

Das empört Laien und Priester und Bischöfe in unserem Land, in unseren Gemeinden, die sich gerade auf den Weg machen, unterschiedliche Formen von Leitung auszuprobieren. Wir auch! Ausdrücklich ermutigt vom Bischof und eng begleitet von den Pastoraltheologen im Bischöflichen Generalvikariat, setzen wir den Beschluss des Stadtkonzils zu „geteilter Leitung“ um: in vier Gemeinden unserer Pfarrei: in St. Michael, St. Franziskus, St. Suitbert und St. Elisabeth – alle vier versuchen, probieren aus, unterschiedliche Aufgabenverteilung, Leitungsteilhabe, differenzierte Formen von Entscheidungsprozessen.

Die römische Instruktion, wer immer das ist, unterschrieben von Kardinal Stella , Präfekt der Kleruskongregation – diese römische Instruktion betont ausdrücklich: „dass das Amt des Pfarrers nicht einer aus Klerikern und Laien bestehenden Gruppe übertragen werden kann. Daher sind Bezeichnungen wie Leitungsteam, Leitungsequipe oder ähnliche Benennungen, die eine kollegiale Leitung der Pfarrei zum Ausdruck bringen könnten, zu vermeiden.“

Kollegiale Leitung – gerade das aber wollen wir! Wie anders soll denn Ehrenamt und Hauptamt gemeinsam leiten, gemeinsam Verantwortung übernehmen, gemeinsam die Botschaft Jesu Christi weitersagen und vorleben?

Was nun?

Wir werden weitermachen und nach lebbaren, verantwortungsbewussten und zukunftsweisenden Formen von „geteilter Leitung“ suchen.

Keinem Pfarrer ist es zuzumuten, hoffnungsvolle Aufbrüche in den Gemeinden per Dekret zurückzurufen – wir werden das auch nicht tun. Vielleicht bleibt uns nur die italienische Form des Gehorsams: großzügig und selbstbewusst mit Gesetz und Gebot umzugehen; und uns nicht mit deutscher Gründlichkeit an Punkt und Komma zu halten.

Niemand kann bestreiten, dass die Kirche in unserem Land – und in vielen Ländern der Welt auch – vor großen Umbrüchen steht.

Die Kirche, erste und immer noch größte globale Organisation, wird zu lernen haben aus der gegenwärtigen Krise der Globalisierung:

  • wie anfällig sie ist für Pandemien, für Ansteckung durch Krankheitserreger, Fehlformen – auch in der Kirche?
  • Die Globalisierung – wie mächtig sie den Mächtigen nützlich ist und auf Kosten der Schwachen, noch nicht so Entwickelten, lebt – auch in der Kirche?

Die Globalisierung, die in ihrem Hang, Zwang zur digitalen Monokultur kulturelle, ökonomische, traditionelle Eigenheiten schleift, und dabei auch entdeckt, wie anfällig Monokulturen sind:

  • in der Landwirtschaft für die Artenvielfalt
  • für die komplizierte Balance für Bewahrung der Schöpfung
  • bis hin zur Rassismusdebatte, wenn Menschen sich wegen ihrer Verschiedenheit die Köpfe einschlagen…

Kirche muss lernen, immer wieder und seit Jahrhunderten, dass wir Christen uns um Jesus Christus scharen – und nicht um Rom; und das ganz ohne antirömischen Affekt. In einem Land, in dem es ein Leichtes ist, aus der römisch katholischen Kirche auszutreten; dass in unserem Land römische Instruktionen nicht mehr einklagbar sind. Es interessiert ja kaum noch einen.

Und die Debatte um die Sonderstellung des Pfarrers, des geweihten Priesters, ist kontraproduktiv. Die Sonderstellung des Priesters – die hat sich spätestens in der Aufdeckung der Missbrauchsfälle weltweit erledigt. Und wir brauchen sie auch nicht.

Klerikalismus ist – nicht zu Unrecht – zum Schimpfwort geworden.

„Die fruchtbare und kreative Begegnung zwischen dem Evangelium und der Kultur führt zu einem wahren Fortschritt“ – das steht auch in der Instruktion, ein Zitat von Papst Franziskus.

Und auch:

„dass das Wort Gottes die Achtung der Unterschiede in der einen Menschheitsfamilie, den Dialog als Instrument der Teilhabe fördert.“

Das ist wahr.

Darum versammeln wir uns um das Wort Gottes.

Darum ringen wir – auch in der Propsteigemeinde St. Peter – in vielen Formen des Dialogs in „versöhnter Verschiedenheit“ um unserer Zeit gemäße Formen der Christusnachfolge.

Römische Verlautbarungen nehmen wir aufmerksam und liebevoll zur Kenntnis – in der Gewissenhaftigkeit und Freiheit eines Christenmenschen.

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8 Antworten zu Scharfe Kritik an der Pfarrei-Instruktion durch einen erfahrenen Praktiker

  1. . Thomas Sternberg schreibt:

    Der Kommentar deckt sich mit einer ganzen Reihe empörter Pfarrer, die sich mit Mail oder Brief an mich wenden. Die Instruktion ist eben auch ein Schlag ins Gesicht vielen Pfarrer, die seit Jahren versuchen, partizipativ ihre großen Pfarrereien im Team zu leiten.
    Pfarrer (Dechant) Quante ist mir wohl bekannt: er ist im Bistum Münster ein sehr wichtiger und guter Pfarrer.

    • mailpro schreibt:

      „Schlag ins Gesicht“ ist eine richtige Wortwahl. Die Instruktion ist ein Schlag ins Gesicht auch und gerade für alle Katholiken, die sich aufgrund der Fehlentwicklungen und jahrzehntelanger Stagnation zur Zeit noch intensiv in der Kirche engagieren, um –endlich– wenigstens ein kleines Stück weiter zu kommen. Da gibt es ja eine ganze Menge Themenfelder. Diese engagierten Christen werden nach jahrelangem inneren Entscheidungskampf dann doch für sich den Austritt wählen müssen, einfach weil sie es vor sich selbst nicht mehr verantworten können. Ich vermute sehr stark, dass die Austritte nicht abnehmen werden, sondern dass zunehmend auch bisher engagierte und überzeugte Christinnen und Christen austreten werden. Es wäre gut, diesen Leuten jetzt zuzuhören, bevor das nicht mehr möglich ist …
      Michael

  2. Brand, Hildegard schreibt:

    Mögen die Wege so vieler an der Basis als „Arbeiter*Innen im Weinberg“ tätigen Menschen gesegnet sein, so dass sie mutig und in hilfreicher Zusammenarbeit, sprich Teamarbeit, weiterhin ihren anspruchsvollen Dienst am Menschen leisten können – vielleicht nach einem „urchristlichen Modell“ , das ja noch gar nicht so zentralistisch gesteuert werden konnte.
    Es ist schön, einmal die Stimme eines solchen „Arbeiters im Weinberg“ mit solch analytisch ausgewogenen, aber bestimmten Worten zu vernehmen, eines „Dienst- Tuenden“, wie Probst Jürgen Quante sicher einer unter vielen ist.
    Der wertschätzende Segen müsste doch auch einmal “ von ganz oben“ – sprich aus dem Vatikan heraus- gegeben werden, wenn „er“ nicht will, dass viele Menschen für „seinen“ Segen einmal nicht mehr „empfangsbereit “ sein werden.
    Hildegard

  3. Prof. Dr. Edgar Marsch schreibt:

    Einschätzung und Schlussfolgerungen von Propst Quante sind ein berechtigtes Veto, ja eine Art „Aufschrei“ mitten aus der heute schwierigen pastoralen Praxis, die heute mehr und mehr durch sinnvolles und auch notwendiges „Zusammenrücken“ aller Aktanten in den Pfarreien bestimmt ist. Das vatikanische Papier, was immer eine „Instructio“ sein mag und welchen Durchsetzungsanspruch sie haben mag, stellt das wertvolle Miteinander in der Pfarreiarbeit, ohne welches es keine Zukunft an der Basis gibt, in Frage. P. Martin Werlen, ehemals Abt des Klosters Einsiedeln, hat kurz und bündig in einem Tweet die Empfehlung an die Verfasser des Papiers gegeben: Rücknahme und Entschuldigung. Hoffentlich wird die Mehrheit der mitteleuropäischen Bischöfe, die Ausnahmen diesbezüglich sind bekannt, diese Instructio in ihren Entscheidungen ignorieren und energisch Protest in Rom anmelden. Was ist nur aus der einstigen Mahnung von Papst Franciscus geworden, die Bischöfe sollten in ihren Regionen selbst die nötigen Schritte tun, um die Kirche als grosse Gemeinschaft von Glaubenden zu erhalten. Sie droht gegenwärtig in die Bedeutungslosigkeit einer Sekte von „Rechtsgläubigen“ abzurutschen.

  4. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    Ich weiß nicht, ich verstehe manche Details um manche Strukturen nicht bis ins Letzte…………Ich habe halt zeitweise den Eindruck (und zwar egal von welcher Seite – Rom, Pfarrgemeinden, o.a und egal wie berechtigt diese auch sein mögen) es geht da sehr viel Zeit und Energie in das Thema – bildlich gesprochen -: „Wie baut man am besten ein großes Schiff und wie schaut die Organisation rund um das Projekt Schiffsbau aus udgl ?“, Es werden Schreiben verfasst usw………..Mir fehlt da die große Sehnsucht nach der Schönheit, Weite und Freiheit des Meeres !!!. Wenn wir diese Sehnsucht wieder entdecken könnten und auch anderen diese Sehnsucht vermitteln könnten, wäre damit nicht viel oder viel mehr gewonnen und einiges an der Umsetzung ergäbe sich dann stückweit von alleine, anderes an Reibereien z.B. würde sich eventuell sogar relativieren ? WO ist die Sehnsucht nach dem Meer ????……Was nützte uns das tollste größte Schiff, mit dem tollsten zeitgemäßesten Management, den besten Strukturen dahinter und dann ginge es unter, das Schiff, die katholische Titanic und das schon im Hafen, ohne das Meer überhaupt gesehen zu haben.. …………… Verlorene Sehnsucht nach dem offenen wilden, unbezähmbaren, weiten Meer…..??? Oder Zitat Viktor Frankl ungefähr „Wer ein Warum hat, erträgt fast alles wie“…Verlieren wir uns vielleicht zeitweise im WIE (Strukturen u.a) und vergessen wir nicht dann allzu oft auf das WARUM ?……………..??????????

  5. Brand, Hildegard schreibt:

    Liebe Ulrike,
    Dein Kommentar hat mich tief angerührt!
    Bei Deinem wunderschönen Bild von der “ Verlorene(n) Senhnsucht nach dem offenen wilden, ungezähmten, weiten Meer…..???“ – und der neutestamentlichen „Schiffs-Metapher“ : „…und dann ginge es unter, das Schiff , die katholische Titanic (… ), ohne das Meer überhaupt gesehen zu haben. ……..(… ) “
    habe ich sofort an die vielfach missverstandenen, gleichwohl tief gehenden Worte des „tollen Menschen“ in Friedrich Nietzsches Werk „Die fröhliche Wissenschaft“ gedacht :
    “ Der tolle Mensch. – (….) ´ Wohin ist Gott? ´ rief er. ´Ich will es euch sagen!
    W i r h a b e n i h n g e t ö t e t – ihr und ich! ( …) Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? ( … ) Ist es nicht kälter geworden? ( …)“

    Ja; bürokratisch verordnete, ewig gestrige, realitäetsferne, visionsleere, von oben verordnete
    “ Instruktionen“ können die Schifffahrt aufs offene Meer sogleich blockieren, für welche gerade erst kreative Menschen, die in Not geratenen Schiffsleute, in schöner Gemeinschaftsarbeit die fahrbaren Routen erarbeitet hatten. Wo bleibt dann der Gott, von dem die Instrukteure behaupten, ihn auf offenem Meer o f f e n b a r , weithin sichtbar, machen zu wollen?!
    Hildegard

  6. Erika Schimak schreibt:

    Hand auf`s Herz,welche Noch-Kirchenmitglieder interessiert schon das,was ein paar alte,
    realitätsverweigernde Männer in Rom von sich geben? Zurufe aus der Vergangenheit finden
    kaum Gehör!! Es ist erbaulich ein Museum zu besuchen um dann dankbar dafür zu sein:HEUTE
    zu leben!! Noch nicht ganz gleichgültig Erika!

  7. Brand, Hildegard schreibt:

    Jetzt aber wirklich mein letzter Kommentar zu den „Instruktionen“, vielleicht als Material für eine Karikatur:

    Stell dir vor, der Papa gibt all seinen Kindern „Instruktionen“ für´s Leben; und keines der Kinder hält sich daran.
    Papa wundert sich sehr darüber und reibt sich die Augen. ( Kulisse kann auch das Museum sein, vgl. Erikas Kommentar oben. )
    Hat er doch über mehr als vier Jahrhunderte verschlafen, dass seine Kinder erwachsen geworden sind, sich schon lange ihres eigenen Verstandes bedienen können und sehr gut wissen, was sie zu tun haben, unter anderem Angst, Bequemlichkeit, Faulheit, Feigheit, Mangel an Mut zu überwinden, Untugenden (die Verf.in), „Unfähigkeiten“, welche I. Kant bekanntlich als die Ursachen von Unmündigkeit ausgemacht hatte.
    Zu hoffen ist, dass die Mündigen und Mutigen, vom eigenen Verstand Erhellten in der Deutschen Bischofsgemeinschaft und anderswo in der Mehrheit bleiben.
    Und – dann dürfen sie weiter schlafen, der Papa und seine altersstarren, uneinsichtigen Zuarbeiter, wer auch immer diese sind, die da im Dunkeln agieren.
    Andere Uneinsichtigkeiten, z.B. in Bezug auf die Tatsache „Und die Erde dreht sich doch!“ hatten wir doch auch schon mal. Gell?! Rück-Fälle in diese Zeiten – nicht ausgeschlossen?
    Hildegard

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