Im Garten des Todes

Predigt zum Karfreitag 2024 in der Klosterkirche der Schulschwestern 1150 Wien.

Noch mehr als für unsere katholische Kirche hat der Karfreitag in den Kirchen der Reformation eine herausragende Bedeutung: „Am Karfreitag gedenken wir Jesu Leiden und Sterben, seiner Hingabe an die Menschen und blicken voraus auf die Auferstehung“, so der evangelische Superintendent in Wien Matthias Geist.

Aber was wir zusammen feiern, ist für viele gar nicht so leicht zu verstehen. Sie begreifen schon nicht, warum Abraham seinen Sohn opfern soll. Umso mehr spüren sie Widerstand gegen die Vorstellung, Gott habe seinen Sohn zur Sühne für uns Menschen geopfert. Der bibelkundige Meinrad Limbeck schrieb 2012 ein Buch mit dem Titel „Abschied vom Opfertod – Das Christentum neu entdecken.“ Herausragende Theologen wie Wolfgang Huber, Nikolaus Schneider, Eugen Biser, Klaus-Peter Jörns und Burkhard Müller denken so wie er.

Auch die Vorstellung von Augustinus ist uns fremd, weil gar geschäftstüchtig. So lehrte der Kirchenvater in Anlehnung an biblische Bilder: Wegen der Sünde Adams gehörte die Menschheit dem Satan. Jesus zahlte „Lösegeld“, um die Menschheit aus der Macht des Teufels zu befreien.

Ähnlich befremdlich ist uns die mittelalterliche Satisfaktionstheorie des Anselm von Canterbury (Satisfaktion, also Genugtuung, kennen Belesene von Duellen): Gottes Ehre sei durch die Sünde verletzt, und sein Sohn stelle sie durch seinen Tod wieder her.

Jede Zeit hat versucht, das Unbegreifliche zu verstehen, das Unerklärbare zu erklären. Und natürlich wollen Menschen unserer Zeit das Ungeheuerliche verstehen, warum ein gänzlich Unschuldiger, dem ein unüberbietbar inniges Gottesverhältnis nachgesagt wird, geschunden, gefoltert und wie ein Schwerverbrecher hingerichtet wird. Und dies alles wegen der vielen Missetaten der Menschheit. Dabei ist es zulässig, die zeitbedingten Bilder vom Lösegeld oder der Satisfaktion hinter uns zu lassen und uns nach besseren Erklärungen umzusehen.

Gewalt in Liebe

Einen guten Vorschlag finde ich bei Papst Benedikt XVI. Er war 2005 zum Weltjugendtag in Köln gereist. Dort versuchte er jungen Menschen zu erklären, was sich in der Eucharistiefeier ereignet, die sie eben miteinander begehen. Gleich einleitend kommt er auf den Tod Jesu am Kreuz zu reden und erklärt den jungen Leuten, was dort geschehen ist.

Seine Deutung des Todes Jesu am Kreuz ist hochaktuell: Gewalt wird in Liebe gewandelt. Genau dieser ungeheuerlichen Herausforderung stellt sich Jesus in entschlossener Freiheit, die er im Garten der Angst am Ölberg im Ringen mit seinem Vater errungen hat. Und der stellt sich ihr aus Liebe. Hat er doch selbst gesagt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13)

Gewaltstrotzende Welt

Was für eine brisante Nachricht für unsere gewaltstrotzende Welt. Gewalt ist allgegenwärtig: Als brutale Gewalt in den Kriegen, als völkerrechtswidrige Gewalt gegen Zivilisten, als Vergewaltigung von Frauen, als Femizide, als Missbrauch von Kindern, als Gewalt gegen die Natur, als rassistische Gewalt gegen jene, die anders sind, als Gewalt…

In seinem Tod am Galgen des Kreuzes legt einer die Latte für die Menschheit ganz hoch und verwandelt Gewalt in Liebe. Weil seine Hände angenagelt sind, kann er der Menschheit keine Faust mehr zeigen. Er zahlt kein Lösegeld an den Teufel, er leistet keine Satisfaktion, um die gekränkte Ehre Gottes wieder herzustellen. Er geht uns den Weg von Gewalt zur Liebe voraus. Und fordert uns auf, es ihm gleich zu tun. „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,12)

Nach dem Garten der Angst

Der Blick auf das Kreuz geht also tiefer. Wie konnte Jesus diese Überwindung der Angst gelingen?

Nach allen Forschungen entspringt Gewalt immer Ängsten, letztlich der Angst vor dem Tod. Genau dieser Angst hat sich Jesus „im Garten der Angst“ gestellt. Er hat seine Todesangst besiegt, indem er sich dem Willen Gottes ergeben hat. So sehr Jesus auch noch am Kreuz seine beängstigende Gottverlassenheit herausschreit: Er lässt nicht von ihm ab. Er hängt nicht nur am Kreuz, er hängt auch an seinem Gott. Seine unverbrüchliche Verbundenheit lässt ihn den Weg des Leidens und Sterbens in freier Liebe gehen.

Für Jesus, aber auch für die Welt, haben der Tod und mit ihm die Gewalt ihre Macht verloren. Noch mehr, man kann sich nunmehr sogar mit dem Tod anfreunden. Jetzt kann in Schuberts famosen Streichquartett das Mädchen mit dem Tod tanzen oder Franz von Assisi den Tod als seinen Bruder bezeichnen.

Sich mit dem Tod anfreunden

Ähnliches schenkt der finnische Künstler Hugo Simberg dem Betrachter des von ihm gemachten Freskos in der Kirche zu Tampere.

Hugo Simberg: Im Garten des Todes,
Fresko im Dom von Tampere, 1905/06

Es zeigt drei in dunkle Mäntel gekleidete Skelette, die zwischen Hochbeeten stehen und sich dort mit Hingabe der Pflege der Blumen und Bäume widmen. Der Tod, hier durch diese drei Figuren repräsentiert, zeigt sich nicht als brutaler Schnitter, sondern als sanftmütiger Gevatter Tod. Jede Blume und jeder Baum repräsentieren ein Menschenleben, das vom Tode aufmerksam umsorgt und nach dem Ableben des Menschen vom Tod ins Paradies verpflanzt wird. So gießt die linke Figur sorgfältig die ihm anvertrauten Pflanzen und rechts der Bildmitte drückt eine der Figuren mit knöchernen Händen behutsam eine der Blumen an seine Brust.

Hugo Simberg verarbeitet hier ein Motiv aus dem Märchen „Geschichte einer Mutter“ von Hans Christian Andersen. Der Tod hat das Kind geholt. Die verzweifelte Mutter tut alles, um ihr Kind wieder zu bekommen und sucht den Tod. Endlich findet sie die beiden. Sie fleht ihn um Gottes Willen an, ihr das Kind zurückzugeben. Da erklärt ihr der Tod – ich zitiere Andersen:

„Ich thue nur, was DER will!“ sagte der Tod. „Ich bin SEIN Gärtner. Ich nehme alle seine Blumen und Bäume und verpflanze sie in den großen Paradiesgarten, in das unbekannte Land. Wie sie aber dort gedeihen, und wie es dort ist: das darf ich Dir nicht sagen!“

Durch den Tod Jesu am Kreuz und die dahinter aufleuchtende Auferstehung verliert der Tod seinen Schrecken. Er erweist sich als sorgsam-liebevoller Hochbeetgärtner. Er verpflanzt jede Menschenblume fürsorglich ins Paradies. Auch braucht es im Leben vor dem Tod keine Gewalt mehr, weil uns die Angst vor dem Tod nicht mehr im knöchernen Griff hat. Der Tod hat seine Macht über uns verloren, daher haben wir keine Gewalt mehr nötig. Es ist Raum geworden für hingebende Liebe. Und das, weil Jesus vor uns und für uns in den Garten des Todes gegangen ist und als treuer Begleiter mit uns gehen wird.

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7 Antworten zu Im Garten des Todes

  1. nortinger schreibt:

    Danke, für das tröstliche Bild des Todes als Paradiesgärtner. Leider werden die Bilder der Kirchenväter auch heute wieder fortgeschrieben und verhindern so neue Zugänge zu einem unerklärbaren Liebesgeschehen.

    Eine gesegnete österliche Zeit.

  2. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    Herr Dr. Zulehner !

    Ich wünschen Ihnen

    (und auch allen Lesern des Blogs)

    FROHE OSTERN !!!

  3. FABIAN MMAGU NDUBUEZE schreibt:

    Herr Professor, vielen lieben Dank für DIESE bildreiche Auslegung! Jawohl, der „Garten des Todes“ wurde der Garten der unermesslichen Liebe – Geheimnis des Glaubens im Tod ist das Leben! Auch das EXULTET (Osterlob) wartet immer noch auf eine neue Geburt in der Sprache von HEUTE – aggiornamento!

    Frohes Osterfest!

  4. brandhildegard schreibt:

    Und all das ist letztlich nur über den spirituellen Weg zu erfassen, wenn wir nur bei dem Einzelnen bleiben.
    Aber es ist die Begegnung zwischen Menschen…. nebenan und anderswo… We are all connected, wenn es uns gelingt, auch „geopolitisch“…. auch m i t der „Schöpfung“ …

    Zur Erinnerung: die apokalyptische Erzählung der Begleiterscheinungen des Todes Jesu: „… die Erde bebte….“, –
    „…die Sonne verfinsterte sich…“ – “ als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach…“

    Die gekreuzigte Schöpfung schreit , darinnen alle Gekreuzigten , geschundenen Menschen, Tiere, Pflanzen, Kosmen über die Zeiten- die Räume hinweg .
    Frauen waren es, die damals die Utopie der Rettung vor dem endgültigen „Aus“ von Mensch, Tier , Kosmos entwarfen gegen Selbstzerstörung, Zerstörung der je Anderen, gegen Gewalt , die nicht das letzte Wort haben sollten.

    Wie aktuell – in der heutigen Weltlage. Ohne weltweite Connection, Solidarität , Aufwachen, „Auf- Er-stehen“,
    „Auf-Stehen“
    geht das nicht. Wir alle sollten Gärtner:innen sein.
    Ehe die Apokalypsen real end-gültig über uns kommen.
    Real existieren sie ja immer wieder , immer schon durch grausamste kriegerische Hinrichtungen ganzen Völkerscharen.
    Auch die Himmel verfinstern sich dadurch immer wieder. Auch die Erden beben – Forscher meinten, dass Erdbeben durch tausendfache Bombardierungen entstehen könnten. Sogar Felsen , eben die Schöpfung, halten das nicht aus. Sie schreit immer wieder aufs Neue. In letzter Minute sollten wir dagegen auf-stehen, Das müssten wir alle spüren, erspüren…

  5. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    Das Predigt Triduum mit dem Motiv des Gartens finde ich gut.

  6. brandhildegard schreibt:

    Eine korrigierende Bedenklichkeit zu meinem eigenen Kommentar in Bezug auf mögliche Erdbeben durch Bombardierungen:
    Vorsicht- es könnte sich auch säkular um eine Annahme aus Verschwörungstheorien handeln. Dem wurde wohl wissenschaftlich ( wahrscheinlich auf Anfragen) nachgegangen. Diese Zusammenhänge wurden aber nicht bestätigt.

    Dennoch könnten wir solche Zusammenhänge als drastische Bilder für die gewaltigen Zerstörungskräfte von gezielten oder flächendeckenden Bombardierungen ( dabei noch nicht einmal die fürchterlichen Zerstörungskräfte von Atomwaffen einbezogen) zur Bewusstmachung des Schreckens von Kriegen überhaupt wirkungsvoll einsetzen. Eben auch als Symbolik für den „Kampf“ gegen die Schöpfung mit allem , was in ihr steht, lebt und atmet. Kriege finden ja a u c h real in Erdbebengebieten statt, in denen Menschen so wie so immer wieder leiden und sterben.
    Zum Karfreitag geht es ja um Leiden und Sterben, das Menschen gegen andere Menschen mutwillig und systemisch herbeiführen . Da muss ja die ganze Schöpfung schreien, weinen, klagend beben und sich einen Gott wünschen, der das nicht will.

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