Mehr Fragen offen denn gelöst

Die Reaktionen auf das Segensschreiben des Papstes waren gemischt. Sehen die Einen einen gewaltigen Schritt in die Zukunft, nennt es ein Betroffener im Londoner Guardian schlicht ein „insult“, eine Beleidigung. Auch die Katholische Jugend Österreichs sieht eine Minderbewertung homosexuell begabter Menschen.

Die kulturellen Missverständnisse zwischen Kirche und verbreiteter Meinungslage sind vorhersehbar. Es genügt ein Blick in neuere Studien (wie die letzte Religionsstudie 2020 in Österreich). Zwei Aspekte ragen heraus:

„Ehe“

Ehe in römischen Dokumenten meint etwas anderes als Ehe im heutigen Sprachgebrauch. „Ehe“ hat für die Menschen heute mit Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Treue zu tun; manchmal wird auch die Sprengung von Raum und Zeit mitgemeint: man liebt den, die andere Person nicht nur in den nächsten drei Jahren und nicht nur in Hetzendorf. Solches Lieben will sich sehen lassen. Ein Fest der Dankbarkeit will gefeiert werden. Es erfreut, wenn jemand im Namen eines Übergeordneten sagt: „Es ist gut“ (was genau bene-dicere besagt). Und natürlich soll dies, so meinen viele, aktenkundig werden. Alle Liebespaare, die es wünschen, sollen daher „heiraten“ können. Standesamtlich. Und auch mit dem Segen Gottes, wie immer man eine solche Feier auch nennt.

Papst Franziskus sperrt sich gegen diesen Wandel im Ehebegriff, ohne letztlich verstanden zu werden. Das Sakrament der Ehe soll etwas anderes sein als eine Art kirchliche Valentins-Segensfeier.

Generative Sexualität

Das zweite Missverständnis wiegt ebenso schwer. Es handelt sich um die „Anthropologie menschlicher Sexualität“. Natürlich hat diesbezüglich die Kirche seit dem Konzil – vorangebracht durch gute Moraltheologie und Religionspädagogik – viel gelernt. Die schaurigerweise so genannte „Ehezwecklehre“ hat sich verändert. Die Liebe steht nunmehr obenan. Zu schaffen macht der Kirche freilich die durch die Pille ermöglichte Trennbarkeit generativer und symbolischer Sexualität: Sexualität für die Fortpflanzung und Sexualität als Geheimsprache (Kurt Löwit). So sehr nun die Ehelehre der Kirche, so auch das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“ die symbolische Sexualität in den Mittelpunkt singt: Es bleibt dennoch kirchliche Lehre, dass eine Ehe ungültig ist, wenn kein Wille zum Kind vorhanden ist. Auch gilt als „eheunfähig“, wer zeugungsunfähig ist. Wenn das schon für Heteros gilt, gilt dies natürlich auch für Menschen mit homosexueller Orientierung.

So gesehen kann man die Position der Kirche verstehen: Segnen ja, Ehe (im kirchlichen Sinn) aber nein. Jeder Anschein müsse vermieden werden, dass eine solche Verwechselung aufkommen kann.

Kurzum, es geht bei der Bewertung des Segnungsschreiben am Ende gar nicht um die Segnung gleichgeschlechtlich liebender Paare (das endlich auch!), sondern es geht schlicht um eine gesellschaftlich brisante Frage nach der Reproduktion des Lebens und guten Gedeihräumen für den Nachwuchs. Auf Familie hin offene Ehen sind im Sinn der Kirche sakramental geheiligte Lebensräume für Eltern und (eigene) Kinder, geprägt von Stabilität und Liebe. Und um deren Schutz geht es, was auch gesellschaftspolitisch durchaus Gewicht hat.

Es lohnt sich wieder zu lesen die Studie Berger, Brigitte und Peter L.: in Verteidigung der bürgerlichen Familie, Frankfurt 1980. Gedeihräume, geprägt von Stabilität und Liebe haben sich als gutes (nicht einziges) Modell bewährt und wird von einer beachtlichen Mehrheit moderner Bevölkerungen frei gewählt.

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4 Antworten zu Mehr Fragen offen denn gelöst

  1. Richard Demattio schreibt:

    „generative Sexualität“, „Sorge um die Reproduktionskraft einer Nation“ – allein diese Formulierungen lösen in mir Beklemmung aus! Es ist noch nicht lange her, da wurden Frauen für ihre „generative Sexualität“ mit Verdienstkreuzen geehrt.
    Auch schwingt in diesen Formulierugen Nationalismus mit – und das nicht nur hintergründig! Soll es tatsächlich die Sorge der Kirche sein, die Gene der „österreichischen Nation“ oder der deutschen, der britischen, der italienischen … Nation zu bewahren? Diese Nationen sind als solche durch Politik und Kriege entstanden und keinesfalls natürlich gewachsen.
    Die Kirche soll nicht bei der „generativen Sexualität“ zur Bewahrung einer Nation vorausgehen, sondern auf dem Weg, der die gesamte Menschheit zu einer Nation zusammenführt.

    Zum Schreiben des Papstes bezüglich Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren:
    In diesem Zusammenhang die Ehe samt den Ausgrenzungen zu erwähnen, war nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv und somit patscherte Kommunikation.
    Die Scheinwerfer des Interesses wurden dadurch vom eigentlichen Thema (Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren) abgelenkt auf das Thema „Ehe“ und was Ehe bedeutet.

    Dabei ist die Freigabe der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare (die ja längst praktiziert wird) wert, ALLEIN im Scheinwerferlicht zu stehen.

  2. brandhildegard schreibt:

    Welch eine Verwirrnis zwischen
    -„Schaurigkeit“ einer „Ehezwecklehre“ ( nicht ohne die Versuchung, dabei grausame Zeiten zu erinnern, in denen „Reproduktion“ von Nachwuchs durch eine uns bekannte Rassenideologie begründet wurde ) ,
    -einer heutigen sogenannten „Reproduktionsmedizin“ ( ein Ehepaar mit einem Kinderwunsch – der durch In-Vitro-Fertilisation erfüllt wird – würde das Wort für sich vielleicht nicht ihrer Würde entsprechend gerne sagen wollen)
    -und einem möglicherweise überhöhten „Bild“ von „symbolischer Sexualität“ , Liebe usw.
    Wir täten gut daran, die Vielschichtigkeit von partnerschaftlichen Beziehungen ( in welcher Gestalt der „Geschlechter-Beziehung“ auch immer ) aus multi-perspektivischen Blickwinkeln zu betrachten und dabei auch die fließenden „Übergänge“ zwischen Erotik, Leiblichkeit, „Seele“ , psychosomatischen Ursachen und Reaktionen im gesamten Beziehungsgeflecht wahrzunehmen, auch verbunden mit Kinderwunsch oder keinem Kinderwunsch aus vielen Gründen.
    Dabei greift der oberflächliche, gängig benutzte „Begriff“ „Sexualität“ zu kurz. Die Mehrdimensionalität könnte Engführungen vermeiden. In anderen Kulturen, Sprachen gibt es sicher andere Begriffe und Vorstellungen…
    Aber- in welchen Konstellationen auch immer- alle Menschen, Menschen in Partner:in-Beziehungen brauchen immer „Schutzräume“ – zur Wahrung ihrer Würde, ihrer freien Entfaltung, ihrer Unversehrtheit…

    zum Kirchlichen: Mit dieser päpstlichen „Erlaubnis des Segens“ sollten jetzt ganz schnell die Stellen im Katechismus gestrichen werden , nach denen die „Ausübung“ von Homosexualität als Sünde gilt und als Verstoß gegen Gottes Schöpfungsordnung disqualifiziert wird…
    Ich denke humorigerweise ( mensch möge es mir verzeihen) immer mal wieder an unsre lieben Bonobos ( die gabs zu biblischen Zeiten sicher auch schon) , bei denen homosexuelle Praktiken- bei Männlein und Weiblein- in aller
    Wiesen-Öffentlichkeit Gang und Gäbe sind, auch z.B. zur Versöhnung. Das ist auch gegen Gottes Schöpfung, gell! Lieber Jott, wat haste da nur „jeschaffen“ !

  3. brandhildegard schreibt:

    Eine kleine Ergänzung:
    ich denke, „die“ Katholische Kirche sollte grundsätzlich froh darüber sein, wenn es überhaupt in dieser Zeit Menschen gibt, die sich gerne „kirchlich segnen“ lassen möchten. Das können sie ja nur mit einem guten Gottesbezug wollen. Und so – vermute ich – wollen sie gerade G o t t e s Segen, d.h. dessen Zuspruch zu ihrer Beziehung, dass diese gut sei und gelingen möge, sicher nicht aus „Jux und Dollerei“ … Wie viele Menschen sind das wohl?
    Vielleicht haben sie ja auch den Wunsch, das Ganze auch – in Anpassung an unser bürgerliches Recht- mit einer „kirchlichen Eheschließung“ abzurunden; natürlich unter dem Gesichtspunkt, dass die Kirche nicht mehr nur die „Reproduktion“ als Zweck einer Partner:inschaft akzeptiert, sondern die übergeordnete, alles verbindende „Liebe“. Das wären Dammbrüche. Der Glaube aber bliebe vielleicht erst recht – möglicherweise um so gefestigter!?

    • brandhildegard schreibt:

      … und jetzt… Fortsetzung. ….

      kurz vor Weihnachten eine „schöne Bescherung“ von Kardinal Müller – Bericht in „katholisch.de “ 22.12.2023 und in „Stuttgarter Zeitung“.
      Der Kardinal bezichtigt den Papst wegen dessen „Freigabe“, sprich Erlaubnis der Segnung homosexueller Paare der „Gotteslästerung“ – als Steigerung der Anklage im November 2023, es handle sich um „Häresie“
      ( „Irrglauben“- im Kirchenrecht könnte das zur Amtsenthebung eines Papstes führen(?) ) .
      Diese über-griffigen, maßlosen, d.h. jedes Maß überschreitenden Anschuldigungen wirken sogar auf mich – einer Außenstehenden- wie ein nicht militärischer Putschversuch.
      Unter anderen Bedingungen vor der Amtierung von Papst Franziskus hätten diese Über-Griffe gegen den Höchsten Würden-Träger vielleicht Berufsverbot für einen Theologen bedeuten können. Wie gelassen muss Franziskus jetzt sein! ( meine Bewunderung, wenn er diese Haltung jetzt schafft).
      Und- wenn jetzt afrikanische Bischofskonferenzen protestieren in Ländern, in denen Homosexuelle hart bestraft werden, sogar bis hin zur Todesstrafe, dann wäre es eher die christliche Pflicht von afrikanischen Bischöfen,
      bei ihren Regierenden dagegen zu protestieren ( und keine Ruhe zu lassen) und mit dazu beizutragen, dass diese menschenrechtswidrigen Gesetze abgeschafft werden-
      eben unter dem Aspekt der allgemein geltenden- Menschenrechts-Konventionen: die Würde von Menschen ist unantastbar, Gleichheit vor menschenrechtlich abgesicherten Gesetzen usw. : Und -unter Papst Franziskus
      wird die Todesstrafe als Strafe nicht mehr akzeptiert.
      Nicht zu vergessen, dass es sich in solchen Ländern durchaus um ein „christlich-koloniales “ Erbe gegen Homosexuelle handeln könnte.

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