Zeitsensibel.

Laudatio des Hirtenwortes der Bischöfe Österreichs.

Es ist ein rechtes Wort zur rechten Zeit. Otto Friedrich hat es in der letzten Ausgabe von DIE FURCHE gewürdigt. Es ist zu wünschen, dass es viele lesen – Medienleute, politisch Verantwortliche, Leute aus den „systemrelevanten“ Bereichen der Gesellschaft, zu denen man nach der Lektüre gern auch die Religionsgemeinschaften zählen kann.

Eine kleine Pastoraltheologie der Pandemie

Was Bischof Hermann Glettler federführend verfasst hat, ist wie eine kleine Pastoraltheologie der Covid-19 Pandemie. Es steht in der bewährten Spur der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wie diese knüpft es bei den Erfahrungen an, die Menschen in höchst unterschiedlicher Weise in den letzten Monaten gemacht haben. Kaum eine Bevölkerungsgruppe wird ausgelassen – waren doch schließlich alle Betroffene. Allerdings traf die Pandemie manche mehr als andere. Das Hirtenwort nennt zunächst viele davon im Modus des Dankens: die Frauen, die Männer, die Kinder, die Jugendlichen, dann aber auch die Hilfsorganisationen (darunter die Caritas) und die Menschen mit seelsorglichen Aufgaben: letztere werden ja in der Öffentlichkeit weithin übergangen. Dann aber rücken jene in die Mitte, welche die Pandemie und der daran gebundenen Lockdown massiv bedroht: jene, die ihre Arbeit verlieren, die Unternehmer, die trotz staatlicher Hilfen ihren Betrieb nicht über die Runde bringen, dann aber auch die Familien, von denen nicht gar wenige einer gefährlichen Überlastung und damit verbunden wachsender Gewalt ausgesetzt sind. Das Hirtenwort denkt auch an die Alten und schwer Kranken, die nicht besucht werden konnten und von denen einige alleingelassen diese Welt verlassen haben.

Ein Update des Sozialwortes der christlichen Kirchen

Das Hirtenwort ist zugleich ein Sozialwort, welches das grandiose Schreiben der christlichen Kirchen Österreichs updatet – freilich leider nicht in derselben ökumenischen Weise. Den zeitgerecht und in einer lesenswerten Sprache ausgeschilderten sieben Gaben des Heiligen Geistes werden die Megachallenges zugeordnet, und dies zumeist schlüssig und manchmal (wie den Disput um die Freigabe selbstbestimmten Sterbens) eher lose. Wesentlich ist die sozialpolitische Botschaft: Die Meisterung der Pandemie-Krise könnte eine Lernerfahrung sein für ein ebenso entschlossenes Handeln in jener planetaren Krise, von welcher das Hirtenwort betont: „Bei Nicht-Handeln muss uns wohl bewusst sein: Die Folgen des Klimawandels werden längerfristig weitaus verheerender ausfallen als jene der aktuellen Pandemie“ (12). Wie eine Basso continuo durchzieht das ökologische Anliegen das Schreiben. Alle Förderungen, die derzeit zur „Rettung“ der Wirtschaft, von Unternehmen, Arbeitsplätzen, Kunst, Kultur und Bildung, auf Pump gemacht werden, sind vor jener kommenden Generation zu verantworten, welcher die Schulden aufgelastet werden. Das setzt einen mutigen Wandel der neoliberalen in eine ökosoziale Marktwirtschaft (also eine „menschlich wie ökologisch verantwortbare Wirtschaft“: 13)ebenso voraus wie die Einsicht der Bevölkerung, dass ihr Lebensstil (wie Flugreisen) und ihr Kaufverhalten (mehr lokal produzierte Güter) sich rasch verändern müssten. Das Hirtenwort kann sich dabei auf Papst Franziskus und seine epochalen Dokumente Laudato si sowie Querida Amazonia berufen. Eine bessere fachlich wie sozialethisch abgesicherte Quelle wird man derzeit nicht so einfach finden.

Option für die Pandemieverlierenden

Das Hirtenwort macht es sich auch mit Blick auf die Pandemieverlierer nicht leicht. Es bedenkt jene, die wegen des Lockdowns ihren Arbeitsplatz verlieren, ebenso wie jene, die im Zuge der Digitalisierung in Gefahr sind „überflüssig zu werden“ (Hans Magnus Enzensberger). Dies zeigt, dass die Pandemie keinesfalls alle globalen und nationalen Probleme geschaffen hat. Vielmehr kam es in ihr zu einer Zuspitzung. Zudem hat es die Pandemie leicht gemacht, ungelöste Herausforderungen unter den Tisch zu halten. Das betrifft eben neben der Klimakrise auch das Megachallenge der vielfältigen Formen der Flucht. Leider übergeht auch das Hirtenwort die vielen kriegerischen Konflikte, die neben hoffnungsloser Armut und sich mehrender Naturkatastrophen immer mehr Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Beides wird künftig nötig sein: eine forcierte Entwicklungszusammenarbeit verbunden mit einer internationalen Friedenspolitik einerseits und die Aufnahme schutzsuchender Menschen andererseits.

Das Wertegrundwasser Europas

Das Hirtenwort ist zuversichtlich, dass Europa sein Wertegrundwasser nicht verloren hat. Die Pandemie hat zumindest anfangs gezeigt, dass es einen guten Vorrat an belastbarer Solidarität im Land gibt. Es zeigte sich auch, dass die Freiheitsrechte und damit die Demokratie zum Fundament Österreichs gehören. Ein antieuropäischer Nationalismus wird klar abgelehnt. Vor allem wird um Vertrauen geworben, welches das einzige Mittel gegen die entsolidarisierende Angst darstellt: Und Vertrauen ist wie Liebe und Hoffnung unteilbar. Sie haben ihre Quelle steht im letzten Geheimnis unserer Existenz: den wir Gott nennen.

Ermunterung zu einer politischen Kultur

Ohne betulich zu werden, mahnt das Schreiben eine Verbesserung der politischen Kultur ein. Das geschieht nicht ohne Grund. Denn nach der Einmütigkeit der ersten Wochen besteht die Gefahr, dass die Debatten wieder das Niveau der Zeit davor erreichen. Die Kommunikation müsse gewaltfrei sein, ohne Aggression und „verbissener Suche nach Fehlern und Anklagepunkten“. Eine „positive Fehlerkultur“ (11) bei allen Beteiligten sei eine große Entlastung. Die Kirche nimmt sich hier nicht aus – das Schreiben entschuldigt sich ausdrücklich für die anfängliche Selbstbeschäftigung (17).

Schaler Beigeschmack

So gelungen das Hirtenwort inhaltlich ist – es hat auch einen unguten Beigeschmack, der freilich nicht nur diesem Schreiben anhaftet. Das hat schon mit der Beobachtung begonnen, dass die Digitalisierung von Gottesdiensten zu einer Fokussierung der Eucharistiefeier auf das Geschehen am Altar und das Handeln des Priesters geführt hat. Von einer schleichenden Reklerikalisierung war die Rede. Ein ähnlicher Prozess der Fokussierung auf den Priester findet in den Strukturreformen vieler Diözesen statt, wo es zumindest in einem ersten Schritt um die Bearbeitung des Priestermangels geht. Und im vorgelegten Hirtenwort sprechen nur die Bischöfe für die Kirche. Diese kommt zwar vor, ihre Aufgabe in der Gesellschaft von heute wird präzise beschrieben: „Als Bischöfe bekennen wir uns zu einer lebensdienlichen Kirche, die mitten in der Welt steht, für die ganze Gesellschaft Wertvolles leistet und so von immer mehr Menschen auch als ‚systemrelevant‘ erlebt wird.“ (18) Das Kirchenvolk bleibt aber weithin im Hintergrund. Es wird zwar gedankt: der Caritas, den Seelsorgerinnen und Seelsorgern, den Pfarren und Einrichtungen der Ordensgemeinschaften, leider nicht die Bildungseinrichtungen oder den Schulen und den dort unter ungewohnten Voraussetzungen Unterrichtenden. Das Wort „Laien“ kommt, warum auch immer, nicht vor.

Institutionalisierte Synodalität

Es geht das Gerücht um, dass ein Bischof geklagt habe, dass Laienorganisationen sich zum Hirtenwort nur wenig und kaum lobend geäußert haben. Dann aber ist um der Wahrheit willen auch zu sagen, dass eben Laienorganisationen (wie die Katholische Aktion mit ihren vielfältigen Gliederungen) den Bischöfen für das Hirtenwort Kurzdossiers geliefert haben. Eine Synthese dieser Texte zeigt, dass so gut wie alle gesellschaftspolitisch relevanten Punkte, die im bischöflichen Schreiben vorkommen, in diesen Dossiers genannt sind. Das Hirtenwort würde vielleicht noch an Kraft gewonnen haben, wäre ausdrücklich vermerkt worden, dass der Inhalt sich einer innerkirchlichen Konsultation verdankt. Das wäre umso hilfreicher, weil ja laut Konzil die Laienorganisationen für das Handeln der Kirche in gesellschaftlichen Fragen eine eigene Zuständigkeit haben und nicht bischöfliche Marionetten sind. Zu Recht wird diese organisierte Laienarbeit auch mit Kirchenbeitragsmitteln finanziert: also mit Geld, das nicht den Bischöfen gehört, sondern von diesen nur treuhänderisch verwaltet wird. Wie weit über das Geld Einfluss auf die eigenständige Arbeit der Laienorganisationen und deren Personalbestellungen genommen wird, wird zunehmend zu einer diskussionswürdigen Frage. Bürokratisierung birgt die Gefahr einer säkularen Klerikalisierung des gesamten kirchlichen Lebens in sich.

Vielleicht wäre es an der Zeit, auch in der Kirche in Österreich mehr Synodalität zu riskieren. Es wäre für die Entwicklung der Kirche in Land höchst dringlich, dass nach Corona eine Kirchenversammlung stattfindet. Auf dieser könnte eine Art „Kirchenparlament“ eingerichtet werden – es entstünde eine institutionalisierte Dauersynodalität. Das könnte die Bischöfe enorm entlasten, zugleich aber die kirchlichen Vorgänge partizipativer werden lassen. In einer demokratischen Kultur wäre das eine Form von Inkulturation, wie Papst Franziskus sie wünscht.

Dann wäre die Zeit der „Hirtenworte“ vorbei, weil es dann „Kirchenworte“ geben könnte. Und das nach Möglichkeit ökumenisch – auch über den christlichen Tellerrand hinaus. Das Sozialwort der Christlichen Kirchen war ein guter Schritt in diese Richtung.

Hier der Link zum Hirtenwort

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3 Antworten zu Zeitsensibel.

  1. Joseph schreibt:

    Eine „Pastoraltheologie der Pandemie“ ist etwas Schönes. zumindest für alle Freunde „pastrotal- und sonstiger theologischer Texte“. Kirchliche Texte haben es eben in sich in der Länge und in der Ausschmückung. Das hat aber zur Folge, dass diese nicht von vielen genau gelesen werden; heute wegen der „Schnelllebigkeit der Zeit, früher eher weil unzugänglich für „gewöhnliche“ Laien.
    Sie „Versanden“ also und werden dann „zu den vielen Konzils- und Synodaltexten in den Bücherkasten dazugestellt“ (Originalzitat des Herrn BV Pater Josef Zeininger).
    Die Aussagen sind gut interpretierbar und wenig fassbar (fixierbar) … man „könnte/sollte/müsste und würde“ etwas anregen / vorhaben / tun wollen ….

    Und nach meiner Erfahrung wurde dieses durchaus umfangreiche Dokument auch nicht in den Pfarren „verlesen“ … es ist also den Kirchen-Insidern vorbehalten sich daran zu „erwärmen“ ….

    Dass die Pandemie das kirchliche Leben gelähmt und tief erschüttert hat stimmt, aber es ist nicht die Aufgabe der Kirchenführung sich an „zeitlichen Hürden“ abzuarbeiten, wenn das Leben der Pfarren auch ohne Pandemie von mehr als genügend Herausforderungen und Notsituationen geplagt ist.

    ein echter „geistgetriebener“ Pfingstbrief müsste beginnen mit den Worten: Lasset uns Nägel mit Köpfen machen … … es ist Zeit von den Gewohnheiten aufzustehen ….. Wir Bischöfe wollen voranschreiten …. …

    Wir bitten Dich, erhöre uns

  2. Johanna Spöth schreibt:

    Sehr fein und scharfsinnig formuliert!

  3. Pingback: Zeitsensibel. [© Paul M. Zulehner] – Prattenberg 🇦🇹 ⚜

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