Ich vermisse einen Lehrer und Freund. Zum Tod von Peter L. Berger.

Mit Peter Ludwig Berger ist am 27.6.2017 einer der ganz großen Religionssoziologen der Welt von uns gegangen. Er hinterlässt in der Religionsforschung eine große Lücke. Zusammen mit seinem Kollegen und Freund Thomas Luckmann hatte er bereits in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts das bahnbrechende und immer noch aktuelle wissenssoziologische Werk über Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (The Social Construction of Reality, 1967) verfasst. In letzter Zeit hatte er sich pointiert zur Säkularisierung geäußert (The Many Altars of Modernity, 2016). Es ist Zeichen seiner Größe, dass er nicht zögerte zuzugeben, dass er sich mit anderen mit der Deutung der modernen Entwicklung mit Hilfe der Säkularisierungshypothese getäuscht habe. Es gebe mehrere Modernitäten, religionsunverträgliche wie religionsverträgliche. Modern sei Wählen, damit Pluralismus. Dabei sei es ein Kunststück für den Einzelnen, mit der gesellschaftlichen Pluralität im eigenen inneren Haushalt fertig zu werden.

Peter Bergers Bücher zu lesen, war immer ein Vergnügen – ob seine Einladung zur Soziologie (Invitation to Sociology, 1963) oder Auf den Spuren der Engel (A rumor of angels, 1970). Nie hat er so geschrieben, dass man den Sinn eines seiner Texte erst beim zweiten Lesen erahnte. Ein anderer meiner großen Lehrer Karl Rahner sagte einmal am Ende seines Lebens: ‚Wenn man etwas verstanden hat, kann man es auch einfach sagen.‘ Peter konnte das nicht erst am Ende seines Lebens.

Bestechend war Peters Humor. Über den Humor hat er nicht nur soziologisch reflektiert. Er konnte eine Runde einen ganzen Abend mit erlesenen Witzen unterhalten. Aber auch selbst schwere Phasen seines Alltagsleben meisterte er heiter. Hier ein kleiner Ausschnitt aus einem eMailwechsel. Ich hatte ihm einmal geraume Zeit nach dem überaus schmerzlichen Verlust seiner Frau Brigitte von einem famosen Schweizer Pfarrer geschrieben, der jeden Witwer etwa ein Jahr nach der Beerdigung seiner Frau diskret fragte, ob er wieder jemand habe. Kurz darauf schien sich bei Peter etwas anzubahnen. Als ich ihn fragte, ob es gut vorangehe, schrieb er mir zurück:

„Danke fuer Deine guten Wuensche zu einer Frau ‚die mir gut tut‘. Leider nicht mehr relevant. Die betreffende Dame, die schon lange in Hawaii lebt, kam hier an (mit viel Gepaeck, einem Auto, und einer Buddha-Statue (sie ist buddhistische Konvertitin)). Nach recht kurzer Zeit wurde uns beiden klar, dass wir ueberhaupt nicht zusammen passen (ihr Buddhismus war eher Symptom als Ursache). Der letzte Faktor war ihre voellige Humorlosigkeit – wie koennte ich mit einer Frau leben, die ueber meine Witze nicht lacht?“

Was den Religionssoziologen Berger auszeichnete, war seine persönliche moderne Frömmigkeit. Wahrhafte Gläubigkeit vertrage sich nicht nur mit der Fähigkeit des Zweifels, sondern setze solchen sogar voraus (In praise of doubt, 2010). Als ich Thomas Luckmann in Kärnten beerdigt hatte, erzählte ich ihm, dass ich seinen Freund, als dieser an Krebs erkrankt war, mehrmals besucht hatte und wir tiefe Gespräche geführt hätten. Wenige Wochen vor seinem Tod, dessen Kommen erahnend?, schrieb er mir:

„Es ist schon laenger her, dass ich Dir sagte – wenn ich katholisch waere, hatte ich Dich gern als Beichtvater. Nun kam es merkwuerdigerweise in einem Traum dazu. Bitte mache Dir keine Sorgen – ich bin nicht Pfingstler auf Suche nach Wundern geworden. Das aendert aber nicht, dass ich heute diesen Traum als troestlich erlebte. Krankenhausaufenthalte sind immer aufwuehlend. Und Dein ‚Auftritt‘ hat mir wirklich geholfen. DANKE! Peter“ (6.4.2017)

Der vor den Nazis aus Österreich geflohene Peter Berger blieb sein Leben lang Österreich verbunden. Als ich ihn frage, was er vom Wahlergebnis halte, schrieb er mir:

„Ja, natuerlich bin ich nicht gerade gluecklich ueber den Ausgang der US-Wahl (obwohl Hillary auch nicht wunderbar gewesen waere). Es ist nicht schwer, ganz duestere Prognosen fuer die Zukunft einer Trump-Regierung zu stellen. Aber ich sehe eine bescheidene Hoffnung. Im Anhang siehst Du den Text fuer meinen Blog in der naechsten Woche. Da ich, wenn ueberhaupt, ‚Spezialist‘ fuer US-Religion bin, schreibe ich vor allem ueber die Rolle der Evangelikalen bei der Wahl – eine sehr wichtige – aber meine Analyse hat breitere Implikationen. Jedenfalls werde ich noch nicht beim oesterreichischen Konsulat Antrag fuer einen Pass einreichen (Vorlegung meines Geburtzeugnis wuerde vermutlich genuegen).“ (14.11.2016)

Ich vermisse einen Lehrer und Freund, der letztlich nicht nur darüber nachdachte, ob Religion in modernen Zeiten lebbar sei. Er lebte diese auch in seiner humorvollen Art.

Dieser Beitrag wurde unter Ergebnisse veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Ich vermisse einen Lehrer und Freund. Zum Tod von Peter L. Berger.

  1. Michael Kuhn schreibt:

    Lieber Paul Zulehner,

    Danke für diesen Nachruf auf Peter L. Berger, der den Wissenschaftler und den Menschen gleichermassen zeichnet. Es waren seine Bücher, die meine Neugier auf Religionssoziologie geweckt hatten (und der Humor, der darin zu finden ist).
    Wie gerne hätte ich ihn im kommenden Jahr, für das ich einen Studienaufenthalt am Boston College plane, getroffen…

  2. Johanna Spöth schreibt:

    Sehr geehrter Prof. Zulehner,
    mein Mitgefühl zum Verlust Ihres lieben, langjährigen Freundes und gleichzeitig meine Achtung vor dem Gedenken in diesem Blog!

  3. Pingback: Peter Berger gestorben | TheoBlog.de

  4. Rudolf Bretschneider schreibt:

    Lieber Paul!
    Danke für Deine Worte , die ihn sicher gefreut hätten/ haben. Manchmal sind es die weit Entfernten, die uns abgehen
    Liebe Grüße
    Rudi

  5. Pingback: Mein Lehrer und Vorbild Peter A. Berger ✝ • Thomas Schirrmacher

  6. Pingback: Mein Lehrer und Vorbild Peter L. Berger ✝ • Thomas Schirrmacher

Hinterlasse einen Kommentar