Musik und Spiritualität

1824-1896

„Musik bleibe letztlich ein Geheimnis“, so Markus Poschner, Chefdirigent des Brucknerorchesters in Linz. Wir sprachen unter der Moderation von Christine Haiden über Musik und Spiritualität. Den Anlass bot die Aufführung der achten Sinfonie von Anton Bruckner, dessen 200. Geburtstag im Land Oberösterreich unter der umsichtigen Leitung von Norbert Trawöger ausgiebig gefeiert wird.

Damit nannte der begnadete Brucknerdirigent ein Wort, das Theologie auch für Gott verwendet. Gott ist ein unbegreifliches Geheimnis. Man kann das Gottesgeheimnis nicht „begreifen“ – man hätte dann ja Gott (wie auch die Musik) gleichsam „im Griff“ und eben das wäre nicht Gott (und auch nicht die Musik). Möglich ist es aber, sich von Gott „ergreifen“ zu lassen. Und wenn wir auch das Geheimnis nicht begreifen, wir können in ihm daHEIM sein und GeHEIMnisbewohner:innen werden. Das Fachwort für dieses Daheimsein im Geheimnis Gottes heißt Mystik, eng verwandt mit dem gängigeren Begriff der Spiritualität, des Inspiriertseins durch Gottes Geist, der weht, wo er will.

Gott und seine (bislang) Unvollendete

Theologie und Spiritualität können sich freilich Gott annähern, wie wir uns ja auch den Meisterwerken der Musik, die uns ergreifen, letztlich nur annähern. Ein möglicher Annäherungsversuch könnte sein, sich Gott mit dem Bild des Klanges, der Resonanz, einer innergöttlichen Tanzmusik „vorzustellen“. Richard Rohr, der Franziskanermystiker aus New Mexiko macht dies, wenn er von der Trinität als einem „Divine Dance“ spricht. Dieser innergöttliche Liebestanz ist generativ, kreativ, kompositorisch. Die Schöpfung entsteht: als grandiose Weltsinfonie. Die Welt als Klang (Joachim Ernst Berendt: Nada Brama). Welt-Klang. Bislang ist diese göttliche Weltsinfonie eine „Unvollendete“, wenngleich das Schöpfungswerk mit der Auferstehung Jesu Christi bereits ins endzeitliche Finale (1 Kor 11,10) eingetreten ist.

Bei dieser Schöpfungssinfonie sind alle Kreaturen beteiligt, die in einem „chain of being“ (Aristoteles, Bonaventura, Ken Wilber) innerlich verwoben sind. Die Flüsse klatschen, so ein Psalm (98,8). Jeder Mensch spielt gleichsam in seinem Leben seinen „Part“, ist Mitspieler:in in der göttlichen Weltsinfonie, trägt zu deren Klang bei. Zurecht heißt es in einem buddhistischen Mantra: „Om mane padme hum!“ (Lass mich ein Juwel der Schöpfung sein!)

Nun gibt es offensichtlich einige herausragende Künstler, in deren Werken etwas von diesem Klang der göttlichen Sinfonie in „verdichteter“ Weise zum Vorschein kommt. Diese göttliche Musik erklingt zunächst in ihrem Inneren: was es ermöglichte, dass der taube Beethoven meisterliche Werke schaffen konnte. Dann werden sie mit hoher handwerklicher Kunst zu Papier gebracht. Ein Orchesterensemble lässt das Werk erklingen – jedes Mal neu, denn jede Aufführung „erschafft“, angeleitet durch seinen Dirigenten, gleichsam die Komposition neu. Aber auch das „Publikum“ spielt mit. Jede und jeder hört das Werk in einer je eigenen Weise. Dieses Mitspielen bezieht sie in das Werk, das sie erfasst, ein.

Wenn Hören und Sehen vergehen

Während also beim Komponieren durch außergewöhnlich Begabte etwas von der göttlichen Weltsinfonie in besonders berührender Weise zum Hören gebracht wird, werden wir als Hörende durch diese Musik in einer Gegenbewegung in die Weltsinfonie hineingespielt. Dabei verlieren wir das Gefühl für Raum und Zeit. Wir erleben im Spiel, was wir sind: aus und für die Liebe komponiert.

Was aber, wenn uns, wie die Schrift sagt, einst Hören und Sehen vergehen werden (1 Kor 2,9)? Wenn im Himmel, die die Offenbarung des Sehers von Patmos, eine große Stille (Offb 8,1), eine halbstündige Fermate, eintritt, ja erklingt? Könnte es sein, dass wir dann, Teil der vollendeten Schöpfungssinfonie geworden, wie Musikinstrumente in der Hand Gottes sein werden? Klang im vollendeten Weltklang?

Ausweitung des Gottesortes

Zu den bekanntesten Kompositionen von Anton Bruckner zählt sein „Locus iste“ – ein Choral, für die Eröffnung des Linzer Domes komponiert. Dieser Locus meint hier Gottesort. Das Gotteshaus wird als solcher besungen. Für Bruckner, in seiner tiefen Gläubigkeit, die von vermeintlich aufgeklärten Theologen gern als bäuerlich und gar primitiv abgetan wird, war das Gotteshaus und mit ihm die Kirche der eigentliche Gottesort.

Doch Bruckner entwickelte sich biographisch vom Kirchenmusiker zum Weltsinfoniker. Er zog vom klösterlichen St. Florian in die profane Kaiserstadt Wien. Hat er damit seinen locus, seinen vertrauten Gottesort verlassen? Das war sichtlich nicht der Fall. Auch seine Sinfonien widmete er dem lieben Gott und komponierte sie zur größeren Ehre Gottes (O.A.M.D.G.), wie er auf Noten vermerkte. Er war dabei sichtlich der Entwicklung der Theologie voraus. Offenbar verließ er zwar den begrenzten Gottesort „Kirche“. Aber sein Gottesort weitete sich. Die Natur, das Wirtshaus, der Konzertsaal: für ihn wurden sie neue „Loci“, Gottesorte. Der Schweizer Pastorendichter Kurt Marti hätte sie Gottesverstecke genannt. Und der Franziskanermystiker Rohr vermerkt: „great love and great suffering“ sind die wahren Orte, in denen wir Gottes inne werden. Bruckner war es offenbar gelungen, woran die Theologie seit geraumer Zeit arbeitet, das exklusive „extra ecclesiam nulla salus“ (außerhalb der Kirche kein Gott – so wandle ich das Logo gleich um) auszuweiten in das inklusive „extra amorem nulla salus“ (wo die Liebe ist, da ist Gott). Säkularisierung muss somit nicht zum Abschied von Gott oder gar zu dessen Tod führen, sondern kann im Licht der Aussage des Völkerapostels Paulus in neuer spiritueller Tiefe gesehen werden: die profane Welt bleibt fanum, die säkulare Welt bleibt Gottesort. Für alles, was wir sind und erleben trifft zu: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg 17,28) Und das auch, wenn wir mit unserem Verstand Gott nicht erkennen und jene Bilder eines Gottes ablehnen, den es Gottseidank nicht gibt. Anton Bruckners ererbte Frömmigkeit hat sich damit im Lauf seiner Entwicklung enorm geweitet. Sie ist im besten Sinn dieses Wortes „katholisch“ geworden, jetzt nicht mehr im Sinn von konfessionell, sondern von universell.

Damit schließt sich unser meditativer Kreis. Denn wenn letztlich alles Liebe ist und wir in der Vollendung in den göttlichen Liebestanz einbezogen sein werden, stehen wir vor dem größten Geheimnis, das wir zwar nicht verstehen und doch erleben und bewohnen: die Liebe. „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13)

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2 Antworten zu Musik und Spiritualität

  1. phb schreibt:

    Music Is The Language

  2. brandhildegard schreibt:

    Mein Kommentar zu d i e s e m Beitrag ( „Musik und Spiritualität“ ) ist aus Versehen beim Beitrag „Spirituelle Miniaturen“ gelandet.
    Wen es interessiert- bitte meinen Kommentar dort nachlesen!

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