Fürchtet Euch nicht!

Eine pandemische Weihnachtspredigt 2021.

In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen.
Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.
Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen.
So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids.
Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.
Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft,
und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr,
der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll:
Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.
Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.
Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach:
Verherrlicht ist Gott in der Höhe / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade.

(Lk 2,1-14)

In Bethlehem steht eine der ältesten Kirchen im Heiligen Land. Sie wurde im 5. und 6. Jahrhundert erbaut. In den letzten Jahren wurde sie restauriert. Dabei wurde dieser zweieinhalb Meter hohe Mosaik-Engel wiederentdeck. Er ist einer von sieben, war aber Jahrhunderte lang verschollen. Mit erhobenen Händen schaut er in Richtung des Eingangs zur Grotte, die jährlich von zwei Millionen Christen besucht wird. Ich war auch schon einmal einer der Besucher. Der Engel lädt uns ein, nicht nur in die Grotte hinunterzusteigen, wo einst der Stall gestanden haben soll, in dem Jesus geboren worden ist.

Er lädt uns zugleich ein, ihm in das Ereignis zu folgen, über das wir soeben im Evangelium erinnert worden sind. Für Maria war die Zeit der Niederkunft gekommen, so das knappe Geburtsprotokoll. Und dann entführt uns der Evangelist in jene Begebenheit, die mehr als gut in unsere Tage passt. Unser Engel singt von einer großen Freude, die dem ganzen Volk, also uns zuteilwerden soll. Und dann der in der Bibel so oft wiederkehrende Zuruf: Habt keine Angst! Fürchtet euch nicht!

Zeit der Angst

Die Theologin und Psychotherapeutin Monika Renz schrieb ein hervorragendes Buch. Es trägt den Titel: Angst verstehen. Tiefer als alle Angst liegt Urvertrauen. Als Musiktherapeutin nimmt sie an, dass eine Urangst in unsere Seele fährt, wenn im Mutterschoß das Bewusstsein erwachst. Es geschehe, was die Genesis berichtet, dass wir unter den Baum der Erkenntnis treten. In dieser embryonalen Zeit haben wir begonnen, Töne und Geräusche wahrzunehmen. Zum Beispiel den lauten Herzschlag der Mutter, oder Geräusche aus der völlig fremden Welt. Und das Gefühl konnte sich bilden: das bedroht mich, wir mir zu viel. Und dann die Abnabelung vom Hotel Mama. Da konnte sich eine weitere Angst einstellen: Kann ich das überleben, ohne die mütterliche Versorgung? Zu viel – zu wenig: die großen Urängste jedes Menschen. Letztlich steckt hinter jeder Angst die Angst vor der Vergänglichkeit, der Endlichkeit, die Angst vor dem Tod. Diese Urangst überlagert das paradiesische Urvertrauen, das wir von Gott in die Wiege unserer Seele gelegt bekommen haben.

Und war Monika Renz auch berichtet: Diese Urangst kann im Lauf des Lebens immer wieder neue Gesichter erhalten. Als die Flüchtlinge kamen, hatten viele die Angst: das wird uns alles zuviel. Und andere fürchteten, dass es zu wenig wird, wenn so viele in den Arbeitsmarkt und in den Sozialstaat einwandern.

Und auch Covid hat die Ängste genährt. Die Angst vor einer Ansteckung, einem schweren Krankheitsverlauf. Oder jetzt die vielgesichtigen Ängste vor dem Impfen. Und Angst macht erfinderisch. Unglaublich, welche Geschichten erzählt werden über das Virus und die Gefahren der Impfstoffe, und was da alles mit uns geschehen soll: mit eingebauten chips und dass sogar die Frauen und sogar noch deren Kinder unfruchtbar werden sollen.

Von den Hirten auf dem Feld heißt es: „Sie fürchteten sich sehr.“ Wie manche unter uns in diese dunklen und unsicheren Zeit der Pandemie, wo ein schlaues Virus der Kunst der Forschung immer einen Schritt voraus zu sein scheint und wir fürchten müssen, dass dank so vieler Ungeimpfter das griechische Alphabet zur Bezeichnung der Mutation nicht mehr ausreicht.

Wie gut wäre es, könnten alle diese Verängstigten, Freiheitsbesorgten den Ruf des siebten Engels hören: „Fürchtet euch nicht!“ Habt keine Ängste. Und dann nennt er auch gleich die beste Medizin gegen die Angst: „Freut euch!“ Denn dunkle Angst und helle Freude vertragen sich wirklich nicht.

Freilich, der Engel singt den Engeln keine billige Aufforderung zu. Er hat einen starken Grund dafür, dass die Angsthasen auf dem Feld und auch die Corona- und Impfangsthasen sich nicht wirklich fürchten brauchen. Denn er erzählt von einem Gott, dem seine Schöpfung nicht egal ist. Er hat sie durch sein Wort hervorgebracht. Sein Geist ist die treibende Kraft einer Schöpfung, die wir lateinisch creatio continua nennen, fortdauernde Schöpfung also. Und weil es Gottes Geist ist, können wir davon ausgehen, dass es der Geist der Liebe ist, der wir vertrauen können. Und dass wir Menschen begreifen, wie sehr Gott zu seiner Welt und zur Menschheit steht, wurde aus der Kraft dieses Geistes das Kind im Stall zu Bethlehem geboren. Dieses Kind ist die klare Zusage Gottes an uns: Ich bin unter Euch, ich bin einer von Euch, ich gehe mit Euch, ich bin euer „Heiland“: also habt Vertrauen, fürchtet euch nicht. „Non abiate paura!“, so begann zu Recht Papst Johannes Paul II. 1979 seine Antrittsrede.

Fürchtet euch nicht!

Das gilt auch für die Zeit der Pandemie und der Klimakrise. Wir haben Gottes Beistand. Dazu inspiriert er die Wissenschaftler, lässt sie Impfstoffe entwickeln, gibt auch den Besorgten seinen Geist, dass sie ihren verständlichen Protest friedlich vorbringen, er gibt Politikerinnen und Politikern die Courage, Notmaßnahmen zu ergreifen, um das Unvereinbare zu vereinbaren – nämlich Freiheit, Gesundheit und Wirtschaft. Und sein Geist ist einer, der alle Beteiligten und Verängstigten zuruft: Hört aufeinander, bleibt im Dialog, widersteht der Gewalt in Worten und bei Demonstrationen, redet miteinander, und seid vor allem solidarisch mit den Personen mit Vorerkrankungen, aber auch mit den Kindern und Jugendlichen, die es in ihrer Lebenslust nicht leicht haben, immer auf einem Pandemiesoarfeuer zu leben. Und vergesst bitte nicht die Ärzte und Pflegekräfte auf den ICU (intensive care units), die unglaubliches leisten. Eine Pflegerin berichtete in einem TV-Film, wie sie darunter leider, dass die Sterbenden nur vermummte Menschen um sich haben und keine Gesichter mehr sehen.

Fürchtet euch nicht, habt Vertrauen. Nehmen wir das Bild des siebten Engels heute aus diesem Gottesdienst mit, erzählen wir anderen davon. Noch mehr: Werden wir selbst zu einem solchen Engel des Vertrauens, denn geboren wurde Jesus, hebräisch Jehoschua, also Gott rettet.

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8 Antworten zu Fürchtet Euch nicht!

  1. Johanna Spöth schreibt:

    Wunderschön – Danke von uns allen – wünsche einen erfüllten Tag – J. Spöth

  2. Ulrike Brustmann-Sieber schreibt:

    Sehr schöner Text…….(Schön wäre auch, wenn die Politiker mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Menschen hätte, dass jeder schon die richtige konkrete Entscheidung für sich selbst trifft………..)

  3. Walter+Vögele schreibt:

    „Frohe Weihnachten“ und „Fürchtet euch nicht“ zu verstehen und zu verinnerlichen, das erfordert bereits einen tiefen Glauben und ein Gottvertrauen, was vermutlich eine Gnade und das Wirken des Heiligen Geistes ist!
    Ich danke Paul Zulehner für all die Briefe und Texte an uns, denn auch durch ihn kommt Gottes Botschaft zu uns und bewirkt in uns Gutes!

  4. Brand, Hildegard schreibt:

    Ja , sehr anrührend!
    Und danke für all die sehr guten, perspektiv-reichen Beiträge im ganzen Jahr 2021! Immer auch mit der großen Offenheit und so auch als Anregungen zum Mit -Denken- Glauben -Fühlen und Kommentieren – dürfen!
    Pace e bene

  5. Brand, Hildegard schreibt:

    Auch der oben zu „Ergebnisse“ angezeigte Beitrag : ( erst jetzt von mir wahrgenommen und gelesen )
    „Durch das Wirken des Heiligen Geistes“ ( 19.12. 2019 ) korrespondiert sehr schön und anrührend mit diesem : „Fürchtet Euch nicht!“ .
    Sehr schöne Grundlagen für einen Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie als einer Deutungswissenschaft in „Sachen“ , “ Gottes Geist“, „Schöpfung“, „Geburten“ u.a.

  6. Blasius schreibt:

    https://athikan.at/predigt/theologie/2022/01/14/predigt-check-zulehner.html

    Predigt-Check: Paul Zulehner

    Der frühere Theologieprofessor und Geistlicher Paul M. Zulehner hat zu Weihnachten eine Predigt in seinem Blog publiziert, die sehr gut zwei Kernelemente des Genres illustriert: Einerseits die Notwendigkeit (oder doch freie Entscheidung?), falsche Informationen als Fakt zu präsentieren, andererseits die willkürliche Einteilung in gute Dinge, die alle von Gott kommen und schlechte, mit denen er natürlich nichts zu tun hat.

    • Brand, Hildegard schreibt:

      zum Kommentar von Mensch Blasius:
      In Ihrer im LINK angegebenen, sehr ausführlichen Predigt-Kritik nehmen Sie sehr stark bezug auf historische „Fakten“ als Ergebnis der historischen Wissenschaft und setzen diese im vergleichenden Bezug zu dem neutestamentlichenText .
      Die historische Wissenschaft schätze ich sehr: Es müssten jedoch die je eigenen, gegenstandsbezogenen METHODEN, d.h. das Profil, die Disziplinen und die je unterschiedlichen Aufgaben einer bestimmten Wissenschaft beachtet werden – hier die „historisch-kritische Methode der Exegese“ in der Theologischen Wissenschaft, der „Bibellwissennschaft“.
      Die ist nämlich sehr viel komplizierter und mühsamer als das „reine“ Aneinandereihen von erforschten, etwa auch archäologischen Fakten, auch wenn diese wichtig für die Erschließung eines “ alten“ Textes sind.

      Die „HISTORISCH-KRITISCHE EXEGESE ( Bibelwissenschaft)“ umfasst sehr viel mehr – mindestens acht Hauptschritte mit jeweiligen Teilschritten im Umgang mit Texten.
      1) TEXTKRITIK ( z.B. Vergleich von Handschriften ) 2) TRADITIONSGESCHCHTE ( etwa Suche nach mündlichen Überlieferungen, sehr mühsam und offen) ,
      3) REDAKTIONSGESCHICHTE , 4) TEXTANALYSE , z.B. Motiv – Symbol-Allegorie und Begriffsgeschichte, neutstamentliche Texte in Rückgriffen auf Aussagen im AT und in nicht-kanonisierten Texten zur Zeit des AT und NT zu unterschiedlichsten Zeiten und mit möglichen Deutungen und bestimmten Lebennszusammenhängen ) 5 ) LITERARKRITIK : Textgestalt im Zusammenhang mit der FORMGESCHICHTE , z. B. Textgattungen – „Wundergeschichten“ z.B. werden in dieser Disziplin als eigene literarische Gattung verstanden ( vgl. etwa eine andere literarische Gattung -“ Märchen“) .
      6 ) RELIIGIONSGESCHICHTE – vorausgehende Tradition im Judentum , anderen Kulturgbereichen, 7) SITZ IM LEBEN. Lebenssituationen zur Zeit der Entstehung des Textes, d.h.. auch der Schriftsteller/ Redakteur und die daraus zu folgernde Aussageabsicht, 8) HERMENEUTIK – ( hermeneutischer Zirkel) – Vorverständnis, mit dem sowohl ein Autor/ Redakteur an einen vorfindlichen Text , an Quellen herangegangen ist und ihn, sie verarbeitet hat als auch eine heutige Rezipientin*, ein Rezipient, eine Wisenschaftlerin*, Wissennschaftler. Es geht also z.B. bei der Gattung
      „Wundergeschichten“ ganz stark um DEUTUNG, a) aus dem jeweiligen historischen Kontext, b) bezogen auf heutige Menschen. Das kann ich mit jedem- auch außerbiblischen- Text vornehmen. ( Was kann uns ein Text heute noch sagen?)

      Nach Abarbeituung all dieser wissenschaftlichen Schritte kann es sehr wohl “ legitim“ , sinnvoll sein, „Transfer- Deutungen“ zu leisten, wenn einer Rezipientin*, einem Rezipienten an Bedeutungszusammenhängen in Bezug auf den heutigen „Sitz im Leben“ liegt, vielleicht als „Lebenshilfe“ … Und – dazu muss Mensch m.E. nicht einmal in allem überzeugte Christin/ Christ, kann sogar Atheistin im engen Sinne sein…
      Einen Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin* deshalb abzuwerten, könnte ein sehr begrenztes Wissenschaftsverständnis spiegeln, würde auch dem menschlichen, legitimen Bedürfnis nach Lebens – und Kulturdeutungen nicht entsprechen…
      Deutungen von „Engeln“ können soo vielfältig ausfallen…

      • Blasius schreibt:

        Guten Tag!

        Der Predigt-Check bezieht sich nicht auf die gesamte wissenschaftliche Tätigkeit von Prof. Zulehner oder sonst jemandem – er erklärt, wie es dazu kommt, dass ein Mensch bewusst falsche Aussagen tätigt. Ihre vielschichtigen Ausführungen hier sind interessant, aber sie haben damit genau null zu tun.

        Abwertung von WissenschaftlerInnen mit begrenztem Wissenschaftsverständnis (erfundenen Erklärungen) seitens des Predigt-Urhebers thematisiert genau der Blogbeitrag.

        Haben Sie konkret am Inhalt des Predigt-Checks auch etwas zu verbessern? Sind die beschriebenen Tatsachen falsch dargestellt, Schlüsse falsch gezogen? Ich bin sehr offen für Verbesserungen, will ja keine falschen Informationen im Blog verbreiten.

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